Auch bei Medikamenten: Gefälscht wird alles


Kugel- und linsenförmiges Granulat wird in einem "Extruder"
der Nürnberger Firma Leistritz hergestellt.
Nürnberg. Tabletten aus Backpulver, Leitungswasser statt Meningitis-Impfstoff, Chemiecocktail im Hustensaft: Rund zehn Prozent aller weltweit hergestellten Medikamente sind Fälschungen. Pharmapiraterie ist kein Kavaliersdelikt. Die Umsatzeinbußen in Milliardenhöhe verblassen neben dem Leid, das die Arzneimittelfälscher durch ihre skrupellosen Geschäfte verursachen. Neue Verpackungen sollen Patienten und Industrie mehr Sicherheit bieten.

Raubkopien und Produktfälschungen stellen in der Pharmaindustrie ein zunehmendes Problem dar, das sich nicht nur in Umsatzeinbußen von rund 17 Milliarden. Euro jährlich niederschlägt, sondern in weit höheren Folgekosten durch unwirksame oder toxische Arzneimittel. "Arzneimittelfälschungen und fälschungssichere Verpackungen" sind deshalb ein Schwerpunktthema des Themen-Pavillons "Verpackung" auf der Fachmesse TechnoPharm, der gemeinsam mit den Fachzeitschriften "Pharma+Food" und "neue Verpackung" veranstaltet wird.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Thema "Compliance - die sichere und nutzerfreundliche Verpackung", bei dem sich alles darum dreht, die ordnungsgemäße Einnahme von Medikamenten durch eine anwendungsgerechte Verpackung sicherzustellen. Denn durch falsche Einnahme von Arzneien (Non-Compliance) entstehen alleine in Deutschland - so die Schätzungen von Experten - jährlich Folgekosten in Höhe von 10 Milliarden Euro.

Vorbildliche Gestaltungsbeispiele und ihre technische Umsetzung sind deshalb fester Bestandteil des Themen-Pavillons Verpackung auf der TechnoPharm in Halle 12, in dem Experten aus der Praxis den Besuchern Rede und Antwort stehen.

Original oder Fälschung?


Große Anstrengungen unternehmen die Arzneimittel-
hersteller, um Fälschern von Medikamenten das Hand-
werk zu legen. Hier eine Auswahl der Sicherheits-
codes, deren sich u.a. die Firma Dupont bedient.
Fotos: Erich Zwick
Ein bisschen chemischer Grundverstand und die Missachtung der Menschenwürde sind die Zutaten für ein tödliches Geschäft: die Fälschung von Medikamenten. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind rund zehn Prozent aller Medikamente weltweit Mogelpackungen - bestenfalls Imitate, schlimmstenfalls wirkungslose Attrappen oder sogar Gift.

Am häufigsten betroffen sind die Entwicklungsländer, hier wird rund ein Viertel der Medikamente illegal produziert. In manchen Ländern - wie in Nigeria - ist sogar jedes zweite Mittel falsche Ware. Experten gehen davon aus, dass der jährliche Schaden bei Pharmaprodukten deutlich mehr als zehn Milliarden Dollar beträgt, was über fünf Prozent des Pharmamarktvolumens entspricht. Fehlende Kontrollen und die Tatsache, dass Arzneimittelfälschungen letztlich ein Teilbereich der organisierten Kriminalität sind, legen die Vermutung nahe, dass das wahre Ausmaß des Problems noch im Dunkeln liegt.

Gefälscht wird grundsätzlich alles: Herstellernamen, Dosierungen, Verfallsdaten, Beipackzettel, Verpackungen, Wirkstoffe, Chargennummern und Dokumente über angebliche Qualitätskontrollen. "Die perfekte Imitation eines Präparates mit den selben Wirkstoffen und identischer Verpackung beinhalten dabei wohl noch das geringere Risiko" erklärt Dr. Frank Stieneker von der Arbeitsgemeinschaft für pharmazeutische Verfahrenstechnik, Mainz.

So führte die gefälschte "Antibabypille" in Brasilien zu unerwartetem Kindersegen. In Nigeria enthielt ein Impfstoff gegen Hirnhautentzündungen nur Leitungswasser, in Kambodscha bestand ein Malariamittel lediglich aus Acetylsalicylsäure und ein gefälschter Hustensaft tötete Kinder in Haiti. Schätzungen zufolge sterben allein in China rund 100.000 Menschen jährlich an den Folgen gefälschter Heilmittel.

Sicherheit durch Mikrochips

Pharmapiraterie greift nun auch zunehmend auf Europa über: Für Deutschland ist die Gefährdung zwar gering, aber nicht auszuschließen, zumal über deutsche Freihäfen bereits unterdosierte Medikamente verschifft und in deutschen Apotheken gefälschte Arzneimittel entdeckt wurden. "Für ein Lotteriespiel" hält Dr. Frank Stieneker auch die Viagra-Käufe im Internet. Die gesetzliche Kontrollpflicht, der alle deutschen Apotheken unterliegen, konnte bisher jedoch verhindern, dass gefälschte Medikamente aus der Hand des Apothekers an den Verbraucher geraten sind.

"Aber es kommt jetzt auch in Deutschland Bewegung in das Thema Arzneimittelfälschung", meint Stieneker. Einerseits verstärken die Behörden den Druck, so ist Arzneimittelfälschung inzwischen als Straftatbestand in das Arzneimittelgesetz (AMG) aufgenommen worden. Andererseits arbeiten Pharmafirmen an der Entwicklung fälschungssicherer Verpackungen.

Bereits heute schon eingesetzte Sicherungsmerkmale sind Hologramme, Spezialdruck, Spezialtinte, Spezialfolien und DNA-Merkmale. Allerdings gelingt es den Fälschern meist innerhalb kürzester Zeit, auch diese Sicherungen zu fälschen. Es gab sogar bereits Fälle, in denen die Fälschungen Marker aufwiesen, das Originalprodukt aber nicht. "Wirkungsvoller sind technische Hilfsmittel wie Nah-Infrarot-Spektroskopie (NIR) oder so genannte Smart-Labels", sagt Dr. Frank Stieneker.

NIR ist eine anerkannte Analysemethode, die theoretisch von jedem Apotheker vor Abgabe der Originalverpackung angewendet werden könnte. Die Handhabung ist so einfach wie die eines Scanners: Ein langwelliger Lichtstrahl durchdringt die Schachtel, bestimmt den Wirkstoff und misst die Konzentration. Gegen NIR spricht jedoch der hohe Preis der Analysegeräte, außerdem muss das Gerät bei bestimmten Substanzen, beispielsweise Hormonen, passen.

Fachleute setzen daher auf Smart Labels. Die "schlauen" Etiketten gewährleisten eine berührungslose Kontrolle des Fertigarzneimittels durch Radiofrequency Identification, RFID. Dieses Verfahren ist der klassischen Verpackungsindustrie entlehnt und wird beispielsweise bei der "Metro Group" für die Kontrolle höherwertiger Produkte genutzt. Dabei werden die Medikamentenverpackungen mit einem Radiofrequenzsender ausgestattet, in dem die Herkunft der Medikamente fälschungssicher einprogrammiert und bei Bedarf wieder ausgelesen werden kann. Auf diese Weise soll es möglich werden, den Vertrieb eines Medikaments lückenlos zu dokumentieren. So kann für jede einzelne Packung sichergestellt werden, dass sie das Lager des Herstellers, den Wagen des Transporteurs beziehungsweise die Apotheke verlassen hat.

Stieneker und seine Kollegen halten diese Art der Kontrolle für Erfolg versprechend, zumal die Preise für die Chips nur bei einigen Cent liegen und weiter fallen werden: "Dieses Verfahren würde neben der Fälschungssicherung auch verhindern, dass - wie in Italien - Medikamentenverpackungen mehrfach abgerechnet wurden." Die US-amerikanische Überwachungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) empfiehlt ebenfalls RFID, um der Verbreitung von gefälschten Medikamenten Herr zu werden. Es gäbe aber keine Technik, die allein als Allheilmittel dienen könne; RFID müsse mit anderen Techniken wie Hologrammen oder chemische Markierungen kombiniert werden.
12.10.05
neumarktonline: Auch bei Medikamenten: Gefälscht wird alles
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