Notarzt meldet sich ab


Dr. Sven Heidenreich will die Belastung nicht mehr auf sich
nehmen
NEUMARKT. Der eigentlich für den Raum Parsberg vorgesehene Notarzt wird sich an den Weihnachtsfeiertagen wohl abmelden. Hilfe kann sich dadurch verzögern.

In einem Offenen Brief in neumarktonline schreibt Dr. Sven Heidenreich, warum er die Belastung nicht mehr auf sich nimmt.

Der Mediziner arbeitet eigentlich in seiner Hausarztpraxis in Altdorf und hat seit Weihnachten 2006 in seiner "Freizeit" 1709 Notarzt-Stunden in Parsberg abgeleistet - Ende 2006 war bei einem tragischen Verkehrsunfall der damalige Notarzt Dr. Schießl ums Leben gekommen (wir berichteten).

Den Notärzten wurde jetzt vor wenigen Tagen mitgeteilt, daß sie rückwirkend alle Einsätze seit 15.11.2012 auf unabsehbare Zeit nicht bezahlt bekommen, weil die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns die bisherige Vorfinanzierung der Bezahlung der Notärzte nicht mehr leisten könne, schreibt der Arzt.

Heidenreich wünschte den Menschen im Raum Parsberg "ein schönes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch und dass sie hoffentlich nicht in die Not kommen, schnell einen Notarzt zu benötigen, der um ihr Leben oder ihre Gesundheit kämpfen muss".

Wir veröffentlichen den Brief des Mediziners nachfolgend im Wortlaut:

Liebe Bürgerinnen und Bürger der Stadt und Umgebung Parsberg,

seit kurz vor Weihnachten 2006 Herr Dr. Schießl während eines Notarzteinsatzes so tragisch ums Leben kam, helfe ich als Notarzt regelmäßig am Standort Parsberg aus.

Eigentlich war geplant, dass ich am zweiten Weihnachtsfeiertag tagsüber für Sie als Notarzt in Parsberg bereit stehe. Warum dies nun nicht der Fall sein wird und warum Sie voraussichtlich auch über Weihnachten 2012, wenn Sie den Notruf 112 wählen, keinen, oder mit Glück mit deutlicher Verspätung einen Notarzt von weit her erhalten werden, möchte ich Ihnen hiermit kurz mitteilen:

Neben meiner Tätigkeit als Hausarzt in einer Einzelpraxis und meiner Notarzttätigkeit in Mittelfranken habe ich seit Weihnachten 2006 in meiner "Freizeit" 1709 Stunden Notarztdienst in Parsberg geleistet. Hierfür bin ich für 133 Dienst-Schichten jeweils 100 Kilometer von/nach Parsberg gefahren, um dann Tage, meist Nächte, in einem 12-Quadratmeter-Zimmer mit Fernseher und Badewanne zu sitzen, um für medizinische Notfälle und Unfälle bereit zu stehen.

Pro nächtlicher Stunde erhält man als Notarzt in Parsberg (vor Steuern) 14, pro Tagstunde 11 Euro an Vergütung. Für einen Einsatz am Tag erhält man (vor Steuern) 91, nachts 111,50 Euro, bei Einsatzzeiten über 75 Minuten pro halber Stunde weitere 16 Euro. In Parsberg hat man in 24 Stunden durchschnittlich ein bis zwei Einsätze. Hiervon sind Fahrtkosten, Einsatzkleidung, deren Ersatz, Reinigung, etc. sowie Verpflegung und extra Versicherungen zu zahlen. Auch wenn die Zahlen auf den ersten Blick nach viel aussehen, sieht die Rechnung aufgrund der niedrigen Einsatzzahlen dann doch so aus, dass man für knapp jede zweite Nachtschicht (ohne Einsätze) 165 Euro für elf Stunden Dienst erhält. Zieht man hiervon die Kosten für 100 Kilometer Fahrt mit dem eigenen Auto, Abendessen/Frühstück (noch nicht mal gerechnet die Kosten durch Kleidung und Versicherungen) ab, so ist der verbleibende Lohn für eine Nacht zwischen zwei langen Arbeitstagen in der Praxis, den außerhalb des eigenen Bettes doch deutlich schlechteren Schlaf, das nicht unerhebliche Risiko (siehe Dr. Schießl) und die Belastung durch die Arbeit an sich, plötzlich sehr relativ. Auch muß man den Lohn schlichtweg mit den Löhnen anderer Berufe vergleichen, die hierfür mindestens neun Jahre Ausbildung nach dem Abitur erfordern. Man vergleiche dazu nur die Kosten für einen Besuch durch den Schlüsseldienst...

Wie in den Medien mehrfach berichtet, wollen die Krankenkassen seit diesem Jahr einen nicht unerheblichen Teil der Einsätze nicht mehr bezahlen. Nach diversen Streitereien ist es nun so, dass die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, die bislang die Bezahlung der Notärzte "vorfinanziert" hat, da die Kassen seit Jahren weniger zahlen, als sie müssten, dies nun schlichtweg nicht mehr leisten kann. Als Folge hiervon haben wir Notärzte nun in der zweiten Dezemberwoche erfahren, dass wir rückwirkend und ohne Vorankündigung alle unsere Einsätze, die wir nach dem 15.11.2012 geleistet haben, auf unabsehbare Zeit nicht bezahlt bekommen (mindestens mehrere Monate, evtl. teilweise gar nicht). Einsätze, die wir teils unter Risiko für unser eigenes Leben und unsere Gesundheit (s. Dr. Schießl) erbracht haben! Für die wir beispielsweise nachts um 4 Uhr aus dem Tiefschlaf gerissen innerhalb von einer Minute mit Blaulicht durch die Nacht gerast sind!

Ich für meinen Teil bin nun nicht mehr bereit, einen der wenigen freien Tage im Jahr, noch dazu einen Weihnachtsfeiertag, fern von meiner Familie in einem kargen Zimmer zu sitzen, wissend, dass zu 50 Prozent kein Einsatz in den zwölf Stunden sein wird, ich dafür aber an meinem freien Tag um 6 Uhr aufstehen muss, wenn ich dafür noch nicht einmal das mir zustehende Gehalt erhalten werde, oder, mit Glück zwei bis drei Monate später zu x Prozent! Und dafür noch 100 Kilometer zu fahren...

Um es noch einmal klar zu schreiben: Hier geht es nicht darum, dass "mal wieder gierige Ärzte mehr wollen". Nein! Wir wollen nicht mehr. Wir wollen nur das, was wir seit Jahren unverändert (ohne Gehaltssteigerungen!) für unsere verantwortungsvolle und gefährliche Tätigkeit bekommen, weiter. Wir wollen nicht akzeptieren, dass wir weiter zu 100 Prozent unsere Arbeit tun, dafür aber vielleicht einen Teil, vielleicht nichts, und das irgendwann, evtl. nach Monaten, bekommen!

Ich denke, trotz allen Neids wegen der auf den ersten Blick "guten Vergütung fürs Schlafen", wird man nachvollziehen können, warum ich für meinen Teil hierzu nicht mehr bereit bin. Diese Zeilen sollen der Bevölkerung erklären, warum nur noch wenige Ärzte seit Jahren bereit sind, diese Zusatzaufgabe in deren Freizeit zu erbringen - und warum selbst die letzten Motivierten es zunehmend einstellen. Und warum es inzwischen immer häufiger vorkommt, dass es (halb-)tagesweise in Parsberg keinen Notarzt mehr gibt.

Ich wünsch der Bevölkerung in und um Parsberg trotzdem ein schönes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch und dass sie hoffentlich nicht in die Not kommen, schnell einen Notarzt zu benötigen, der um ihr Leben oder ihre Gesundheit kämpfen muss!

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Sven Heidenreich, Altdorf

12.12.12
Neumarkt: Notarzt meldet sich ab
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