"Gedanken zum Karfreitag"

Von Dekan Monsignore Richard Distler

Es mutet schon seltsam an: Da feiert die Kirche den Todestag ihres Religionsstifters. Wie kann man denn den Tod feiern? In anderen Religionen werden die Kämpfe und Siege ihrer Stifter feierlich begangen oder zu Ehren von Staatsgründern Siegesparaden abgehalten. Die Kirche macht am Karfreitag genau das Gegenteil: Sie gedenkt der Passion, also der Leidensgeschichte ihres Herrn. Wie kann man eines Leidenden, also eher eines Verlieres als eines Siegers gedenken? Für die Kirche ist Jesus auch am Kreuz ein Sieger. Gewiss ist das paradox. Heißt es doch schon im Alten Testament: "Verflucht sei, wer am Pfahl (am Kreuz) hängt!" Für die Juden war das Kreuz Christi ein Ärgernis und für die Heiden eine Torheit, wie der heilige Paulus an die Korinther schreibt. "Für uns aber ist es Gottes Kraft und Gottes Weisheit". Aber warum liegt für Christen im Kreuz die Kraft und die Weisheit Gottes verborgen?

Schon Jesus sah sich ständig konfrontiert mit der Behauptung, er sei ein politischer Rebell, ein Umstürzler, einer der sich gegen die jüdischen und die römischen Autoritäten stelle. So warf man ihm z.B. beim Prozess vor, er verbiete, dem Kaiser Steuern zu zahlen. Die Mächtigen spinnen verdeckte Intrigen und opfern Jesus skrupellos für ihre eigenen Interessen. Wie aber reagiert Jesus? Wie er schon gegenüber seinen Jüngern immer wieder betonen musste, er sei kein politischer Messias, so macht er auch vor seinem Richter Pilatus deutlich: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt!"

Worum geht es ihm dann? Er kommt, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Pilatus relativiert sofort spöttisch: Was ist Wahrheit? Für Jesus ist die Wahrheit Gott selbst. Für diese Wahrheit lebt und stirbt er und gleichzeitig lebt und stirbt er für uns Menschen, für jeden.

Warum muss er das tun? Warum sein Karfreitagsopfer? Jesus geht es darum, uns Menschen wieder in die rechte Gottesbeziehung zu versetzen. Dafür geht er ganz nach unten, er steigt am Karfreitag in die tiefsten Tiefen menschlicher Abgründe und in unsere äußerste Gottesferne und Gottesfinsternis, er steigt gleichsam hinab in die Hölle.

Warum tut er das? Er möchte uns aus diesem ganzen Schlamassel herausziehen und uns unsere Würde wieder geben, es ist unsere höchste Berufung, die es auf der Welt gibt und das ist die Würde der Gotteskindschaft. Je mehr der Mensch da selber mittut, je mehr er sich mit dieser Würde beschenken lässt und die Liebe Christi in sich aufnimmt, umso mehr ändert sich sein Leben, aber auch das seiner Umgebung, das der Gesellschaft. Es ändern sich die Beziehungen zum Nächsten in Ehe und Familie, der Umgang miteinander im Alltag eines Betriebs oder eines Geschäfts.

Mehr noch: Unsere durch das Karfreitagsopfer Jesu wieder hergestellte und geheilte Beziehung zu Gott kann in jedem von uns ungeahnte Kräfte wecken. Es sind die Kräfte eines erlösten Menschen, der innerlich ganz frei ist, der sich nicht mehr versklaven lässt an Geld und Konsum oder an den Willen derer, die über ihn herrschen möchten, sei es in der Wirtschaft oder in der Politik. Nicht umsonst sagt Jesus, wer die Wahrheit tut, das heißt, wer ganz in Gott frei ist wie Jesus, der kommt ans Licht und der findet das Glück seines Lebens.

Diese Wahrheit hat Papst Benedikt wieder neu bei seinem Besuch vorige Woche in Lateinamerika verkündet. Die Mächtigen dort wollten ihn, wie fast überall, für ihre politischen Interessen einspannen. Und selbst die Weltpresse wartete vor allem darauf, was der Papst zu den offenen und versteckten Drogenkriegen in Mexiko oder zum kommunistischen System in Kuba sagen würde. Aber ist es wirklich die Aufgabe der Kirche, sich in politische Schützengräben zu begeben? Der Papst hat vor allem Christus verkündet. Er sprach von der Liebe Christi, die vom Kreuz herab jeden ergreift, der sich ihr öffnet, ganz gleich ob er Katholik, Atheist, Christ oder Marxist ist. Seine Liebe kann sogar Drogenbosse bekehren. Je mehr sich also der Mensch von der Liebe Christi, mit der er am Karfreitag bis zum Äußersten geht, ergreifen lässt, umso schneller ändern sich auch die gesellschaftlichen Verhältnisse in Lateinamerika ebenso wie bei uns.

Genau das ist die nahezu "verrückte Weisheit Gottes", die uns am Karfreitag vom Kreuz Christi her neu entgegenstrahlt und diese Weisheit überall in der Welt zu verkünden, ist das Herzensanliegen von Benedikt XVI. So feiert die Kirche zwar den Sterbetag des Christus, aber es ist vor allem der geheimnisvolle Festtag und Feiertag eines großen Siegers und Retters.
Von Dekan Dr. Norbert Dennerlein


Liebe Leserin, lieber Leser,

stellen Sie sich vor, Sie gehen in Neumarkt durch die Klostergasse. Plötzlich kommt ein Jugendlicher mit einem Mikrofon auf Sie zu und fragt: "Was fällt Ihnen zu Karfreitag ein?" Wie würden Sie reagieren? Was würden Sie antworten?

Bei vielen von uns würde diese Frage wohl sofort innere Bilder erzeugen. Erinnerungen wachrufen. Erinnerungen an biblische Geschichten, an künstlerische Darstellungen, in deren Mittelpunkt das Karfreitagsgeschehen steht: Der leidende und sterbende Jesus von Nazareth am Kreuz. Unter dem Kreuz: Maria, seine Mutter und Johannes, sein Lieblingsjünger. Links und rechts vom Kreuz Jesu, die Kreuze mit den beiden anderen Männern, die die römische Besatzungsmacht hingerichtet hat.

Ja, das Kreuz erinnert an Leben, Leiden, Sterben und Auferstehung des Juden Jesus von Nazareth. Wir Christen bezeichnen ihn als Sohn Gottes. Wir glauben, dass in ihm Gott selbst auf diese Erde gekommen ist. Durch das, was Jesus gesagt und getan hat, hat er auf der Grundlage seiner jüdischen Frömmigkeit überzeugend klargemacht: Liebe zu Gott und Liebe zu den Menschen gehören untrennbar zusammen. Jesus lebte die Liebe zu Gott und den Menschen konsequent. Aus Liebe zu Gott und den Menschen gab Jesus sich selbst, sein Leben hin. Durch diese Selbst- bzw. Lebenshingabe aus Liebe hat Jesus den in unserer Welt gängigen Kreislauf von Hass und Gewalt unterbrochen und damit durchbrochen. Das Kreuz ist somit sichtbares Zeichen für die Liebe – Zeichen der Selbsthingabe für die Geliebten – und Protestzeichen gegen den Hass und die Gewalt, gegen das Blutvergießen in unserer Welt. Durch die Auferweckung Jesu hat Gott diesen Weg der Selbst- und Lebenshingabe Jesu ausdrücklich bekräftigt.

Nach der Überlieferung des Evangelisten Matthäus sagt Jesus: "Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan." (Kapitel 25, Vers 40) Deshalb ist das Leiden des jüdischen Volkes durch die Geschichte nicht zu trennen vom Leiden Jesu von Nazareth: Wo das jüdische Volk gelitten hat, da hat Jesus selbst mitgelitten. Der jüdische Künstler Marc Chagall hat dies in seinen Werken, vor allem in seinem Ölgemälde "Die weiße Kreuzigung" aus dem Jahre 1938, dem Jahr, in dem in unserem Land die Synagogen, die jüdischen Gotteshäuser brannten, auf überzeugende Weise dargestellt: Der mit einem jüdischen Gebetsschal umwickelte leidende und sterbende Jude Jesus am Kreuz, inmitten von jüdischen Menschen, brennenden Häusern, einer brennenden Synagoge, einer brennenden Torarolle.

Dieses Bild, dieser Vers würde auch zu dem passen, was am 3. April 1942, also vor genau 70 Jahren, hier in Neumarkt geschehen ist: Die letzten achtzehn jüdischen Neumarkter werden gewaltsam aus ihren Häusern geholt, zum Sammelpunkt in der Bahnhofstraße und von dort deportiert. "Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan."

Wir Christen glauben, dass auch dort, wo heute Menschen leiden, Jesus - und in ihm Gott selbst - mit leidet. Weil das Kreuz das Zeichen der Selbsthingabe aus Liebe ist, haben sich Christen immer wieder anderen Menschen in Liebe zugewendet. Weil das Kreuz das Protestzeichen gegen Hass und Gewalt ist, können sich Christen nicht mit dem Leid in der Welt abfinden. Deshalb suchen sie im Großen und im Kleinen, in Politik, mitten im täglichen Leben nach Wegen für Friede und Gerechtigkeit. Und dies fängt schon in unserem ganz persönlichen Umfeld an.
05.04.12
Neumarkt: "Gedanken zum Karfreitag"
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