"Gedanken zum Karfreitag"

Von Dekan Monsignore Richard Distler

Der große Künstler Pablo Picasso hatte eine völlig ungewöhnliche Art, menschliche Gesichter zu malen. Immer wieder malte oder zeichnete er Gesichter, die in sich verschoben waren. Da schien die obere Gesichtshälfte nicht zur unteren zu passen oder die linke nicht zur rechten und oft waren weder die Augen noch die Nase, der Mund oder die Ohren am richtigen Platz.

Warum diese verschobenen Gesichter? Vielleicht wollte Picasso in dieser skurilen Form darstellen, was der Glaube unter Erbsünde versteht. Eben die innere Verschobenheit, Zerrissenheit, Gebrochenheit und manchmal sogar Gerissenheit und Verrücktheit der menschlichen Existenz. Doch wie wird der Mensch bei all seiner Verschobenheit und Gebrochenheit wieder heil, klar und wahr?

Wie findet er seine ursprüngliche Berufung, die Gott ihm zugedacht hat? Man könnte auch sagen: Wie findet er wieder zu seiner Gottebenbildlichkeit? Eine Antwort darauf gibt der Karfreitag. Da lenkt die Liturgie der Kirche unseren Blick auf den, "den sie durchbohrt haben", wie es in der Passionsgeschichte des Evangelisten Johannes heißt. Aber wieso auf einen Durchbohrten und Gekreuzigten schauen, auf einen Mann mit einer Dornenkrone, angenagelt, geschunden und blutüberströmt? Kann man einen solchen Blick überhaupt aushalten? Es gibt ja nicht wenige heute, die sich an einem Kreuz in der Schule oder in einem Gerichtssaal stören und es am liebsten entfernen möchten.

Der Karfreitag lädt uns ein, deshalb auf den "Durchbohrten", auf den Christus zu schauen, weil nur er es war und ist, der all die Verschobenheit, Zerrissenheit, Abgründigkeit und Gespaltenheit der menschlichen Existenz heilen kann. Wenn die Karfreitagsliturgie mit dem Propheten Jesaja vom Gottesknecht spricht: "Ganz entstellt sah er aus, ein Mann der Schmerzen, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen und er war mit Krankheit vertraut", dann ist Jesus dieser leidende Gottesknecht. Doch sein stellvertretendes Leiden ist unsere Chance, "denn durch seine Wunden sind wir geheilt".

Stellvertretend nimmt der Gottessohn und Welterlöser die Sünde der Welt auf sich. Er rückt die ganze Gebrochenheit und Zerrissenheit der menschlichen Existenz wieder zurecht und versetzt uns wieder ins rechte Gottesverhältnis. Oder: Die verschobenen und doppelten Gesichter auf den Bildern des genialen Picasso können zu wahren menschlichen Gesichtern, wie sie sich Gott für uns ausgedacht hat, werden.

Deshalb lädt uns die Kirche mit einem eindrucksvollen und bewegenden Karfreitagslied ein: "Gedenke, o Mensch, des Welterlösers Tod!" Aber muss dann der Karfreitag etwas Trauriges und Düsteres sein? Von vielen wird er so gesehen. Ich meine: Absolut nicht. Der Karfreitag, die Feier vom Leiden und Sterben Jesu ist zwar etwas Ernstes wegen dem Drama der Sünde und doch zugleich etwas Frohes und Hoffnungsvolles. Denn kurze Zeit darauf singt der Priester im Exsultet der Osternacht: "O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden".

Aber ist eigentlich dem heutigen Menschen nach solchem Jubel ob der Größe des Welterlösers zumute? Wer wirklich noch weiß, was Sünde ist, wer die eigene Schuld und die der Welt nicht verharmlost, sondern anschaut und wahrnimmt, kann sich nur freuen, dass wir einen so großen Erlöser gefunden haben. Der hat den Mut, auf den zu schauen, den sie durchbohrt haben. Der hat auch den Mut, sich auf die berühmten "Heilandsklagen" des Karfreitags einzulassen: "Popule meus, quid feci tibi?" "Mein Volk, was hab ich dir getan, antworte mir, worin habe ich dich betrübt?"

Mehr noch, wer sich wirklich auf den Karfreitag einlässt, der wird gewiss nicht depressiv, eher schon nachdenklich. Er wird immer mehr begreifen, zu welchem Elend, aber auch zu welcher Größe der Mensch fähig ist, wenn er den Welterlöser annimmt. Der wird dann auch erst richtig Ostern feiern können, wenn er sich auf den Karfreitag einlässt. Denn der Karfreitag zeigt, wozu der Mensch fähig ist. Ostern und der Karfreitag zusammen aber zeigen, wozu Gott fähig ist.
Von Pfarrer Peter Loos


Ein hoch aufgewachsener Mann ist wegen seines Bandscheiben- schadens bei einem Physio- therapeuten in Behandlung. Der gibt ihm den Rat: Schreiben sie auf einen Zettel das Wort aufrecht und heften sie diesen Zettel an die Wand gegenüber ihrem Schreibtisch. Jedes Mal, wenn sie diesen Zettel sehen, richten sie sich auf. Denn einen Fixpunkt muß der Mensch haben, sonst sackt er in sich zusammen.

Dieser Fixpunkt ist für mich der Cruzifixus, der gekreuzigte Jesus Christus. Der Evangelist Johannes im Neuen Testament fasst das, was an jenem Karfreitag geschehen ist, in dem einen kurzen Satz zusammen: Es ist vollbracht.

Es ist ein dreifaches, das da für uns vollbracht ist.

Zum einen schafft der Gekreuzigte für mich eine neue Lebensqualität. Ob eine Kreuzesdarstellung schön ist oder nicht, mag eine interessante Frage für Kunstkenner sein. Für mich und meine alltäglichen Freuden und Sorgen trägt sie nichts aus. Durch den am Kreuz Angehefteten zeigt mir Gott, dass ich bei ihm die Altlasten meines Lebens entsorgen kann. Dort können wir all das ablegen, was unser Zusammenleben oft vergiftet. Wir brauchen das Spiel des Verdrängens und Abschieben von Schuld nicht mehr mitmachen. Wo wir auf das Kreuz als den großen Fixpunkt schauen, da können wir als Entlastete wieder aufrecht gehen.

Der, den Gott für mich ans Kreuz geschickt hat, eröffnet mir zum anderen auch eine neue Gemeinschaft. Immer dort, wo mir die Vergebung zugesprochen wird, und ich wieder aufrecht gehen kann, bin ich auch befreit wieder ganz anders auf meine Mitmenschen zuzugehen. Beziehungen, die durch mich vergiftet wurden, können durch mich wieder entgiftet werden. Das Zusammenleben, das von Angst und Misstrauen geprägt war, kann im hellen Licht des Vertrauens und der Zuneigung erlebt werden. Bei all dem, was auch und gerade im Namen von Religion an Hass, Unheil und Tod verbreitet wird, sind wir im Vertrauen auf den Gekreuzigten befreit, die Versöhnung zu leben.

Zum dritten eröffnet das Geschehen des Karfreitags für uns auch eine neue Zukunft.

Zu den Irrtümern, die scheinbar unausrottbar sind, gehört die Behauptung, der Karfreitag sei der höchste evangelische Feiertag. Das da jemand stirbt, das können wir wohl noch begreifen. Aber, das Jesus gestorben ist, damit der Tod nicht das letzte Wort hat, dies kann ich nur im Glauben erfassen. Am Ende der Matthäuspassion von Bach singt der Chor die Choralstrophe: "Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir." Damit belässt es der Thomaskantor in seinem großen Werk nicht beim Karfreitag, sondern schaut hin auf Ostern. Der, der mich auch im Tod nicht fallen lässt und mich in seine neue Zukunft aufnimmt, ist der auferstandene Christus.

Nein, Karfreitag ist nicht der höchste evangelische Feiertag. Der Gekreuzigte schafft eine ganz neue Zukunft. Und deshalb ist das wichtigste Fest aller Christen das Osterfest.
22.04.11
Neumarkt: "Gedanken zum Karfreitag"
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