Steine redeten...


Unter dem mächtigen Dachstuhl der ehemaligen Papierfabrik informieren sich Geschichtsbeflissene über die Vergangenheit und Zukunft des wenig bekannten Denkmals.
Fotos: Erich Zwick

Die Familie Sonnberger steht zusammen mit dem Architekten
Georg Roggenhofer dem wissensdurstigen Publikum Rede und
Antwort. Unter Plänen und einem Foto der ehemaligen Fabrik
(von rechts) Architekt Roggenhofer, Inhaber Roland Sonnberger,
Ehefrau Adelinde, Sohn Tobias mit Schwiegertochter in spe
Brigitte.
NEUMARKT. Sie steht da wie eine unnahbare Festung – beinahe wie eine Trutzburg: die ehemalige Kunstmühle und spätere Papierfabrik an der Mühlstraße. Am "Tag des offenen Denkmals" zeigte sie sich zum ersten Mal einladend.

Und da ließen sich die Neumarkter, aber auch Fremde, nicht zweimal bitten, sondern sie kamen in Scharen und ließen dafür bekanntere Denkmäler, die auch an anderen Tagen zugänglich sind, links liegen.

Unter dem wuchtigen "Kehlbalkendach mit zwei Vollwalmen" – so die Bezeichnung des Architekten Georg Roggenhofer für den sanierten Dachstuhl - begrüßte Roland Sonnberger, seit 1989 alleiniger Inhaber der ehemaligen "Papierfabrik Laabermühle, Alois Sonnberger" die geschichtsinteressierten Besucher.

Er zeichnete die wechselvolle Geschichte des Bauwerks nach, für das im kommenden Jahr ein weiteres Kapitel aufgeschlagen werden soll. So war es, als würden die Steine zu reden beginnen, denen Roland Sonnberger seine Stimme lieh.

Im Jahr 1845 schlug die Geburtsstunde der "Kunstmühle", an der fünf Jahre – ab 1840 – gebaut wurde. Zuvor hatten 20 Bachmühlen im Raum um Neumarkt aufgeben müssen, weil ihnen durch den Leitgraben, der den alten Kanal bis heute speist, das Wasser abgegraben wurde. Das Mühlrad am Leitgraben lieferte die Wasserkraft für die neue Kunstmühle, die gleich drei namhafte Bauherren hatte: den Bauleiter des Kanals, Regierungsrat von Hartmann, den Maschinenfabrikanten Späth aus Nürnberg und den Gasthofbesitzer Kronburger.

Als nach einigen Jahren der Nürnberger Industrielle Späth ausschied, steckten auch die anderen Eigentümer auf und verscherbelten das Objekt an Carl Spitta, dem Schwiegersohn und späteren Nachfolger des Unternehmers Carl Zinn aus Nürnberg.

Nach einem Großbrand in der Kunstmühle im Jahre 1861 erfolgte der Wiederaufbau und Erweiterung durch ein Dampfsägewerk und Beginn einer Zementfabrikation in einem heute nicht mehr existierenden Gebäude an der Amberger Straße.

Wie man von Zement auf Brotteig umsteigen konnte, ist nicht ganz einleuchtend; aber im Jahr 1874 wurde eine Brotfabrik, ein Jahr später eine Teigfabrik errichtet, deren Produkte in ganz Bayern vertrieben wurden. In Exportmärkte ging das Unternehmen ab 1878 mit der Herstellung von Nürnberger Lebkuchen, wofür die Firma zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen erhielt. Die absolute Krönung: die Verleihung des Titels "Hoflieferant" durch Prinzregent Luitpold im Jahre 1887.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs hatten alle Lebensmittelhersteller mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die schließlich nach Kriegsende 1918 zum Niedergang der Lebkuchenproduktion und 1920 zur Betriebsaufgabe führten.

In den folgenden Jahren entstand eine Hartpapierfabrikation zur Herstellung von Tabletts, Behältern und Schüsseln, aber mit der Weltwirtschaftskrise (1929) war’s auch damit vorbei. Die Stadt Neumarkt kaufte den Industriebau, der ihr bis 1956 gehörte.

In der dunkelsten Zeit des letzten Jahrhunderts – von 1933 bis 1945 – wurde das Gebäude als Reichsarbeitsdienstlager und als Lager für russische Gefangene "genutzt". Nach der Kapitulation diente es den Amerikanern als Entlassungslager für deutsche Kriegsgefangene.

Nach all den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit kehrte langsam das zivile Leben zurück – und das gleich heftig: mit dem "Alhambra-Kino" zur Unterhaltung und mit der Firma DOKA – einer Vorläuferin von Reinshagen – zum Broterwerb.

Papierfabrikant Alois Sonnberger kaufte 1956 die Gebäude der Stadt ab und errichtete hier eine Produktionsstätte zur Herstellung von Verpackungsseidenpapieren aus Altpapier. Nach dem Tod des Firmengründers im Jahre 1986 und der Betriebsweiterführung durch eine Erbengemeinschaft ging 1989 das Unternehmen an Roland Sonnberger über.

Wegen Preisverfalls und wegen Unrentabilität wurde 1996 die Produktion eingestellt. Bis 2004 verfiel das Gebäude in einen Dornröschenschlaf. Alle Bemühungen, die Räume für ein Multiplex-Kino oder für eine Erlebnis-Gastronomie zu vermieten, scheiterten. Erst 2007 gelang es der neu gegründeten Familiengesellschaft "Sonnberger GmbH & Co. KG" ein Fitnessstudio einzumieten.

Bis zum kommenden Jahr sollen alle unter Denkmalschutz stehenden Altbauten einer neuen Nutzung zugeführt werden: ein Biolebensmittelmarkt, eine Gastronomie sowie Büros sollen dem ehrwürdigen Gemäuer wieder Leben einhauchen.

Apropos Gemäuer: Die Mauerstärke beträgt beim Hauptbau im Erdgeschoß einen Meter und vierzig Zentimeter und im 3. Obergeschoss immer noch 90 Zentimeter. Der umbaute Raum beläuft sich auf 16.000 Kubikmeter (Papierfabrik) und 5.000 Kubikmeter (ehemaliges Kino); die gesamte Nutzfläche auf 5.000 Quadratmeter.

Der Leitgraben übrigens, der bis 2004 durch den Keller des Hauptbaues floss, wurde vor dem Gebäude umgeleitet, um den Stadtpark zu beleben.
Erich Zwick

Die Schlote rauchen längst nicht mehr: So sah einst die Papierfabrik aus als noch Lebkuchen gebacken wurden. Die Firma Carl Zinn wurde zwar 1817 gegründet, aber die ehemalige Kunstmühle entstand erst im Jahre 1845.
14.09.08
Neumarkt: Steine redeten...
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