Drei Jahre und ein Tag


Zwei zünftige Gesellen mit dem Lupburger Josef S. Mirbeth
NEUMARKT. Jeder hat schon mal die meist in schwarz gekleideten jungen Männer gesehen, die normalerweise auf Baustellen arbeiten oder auf den Landstraßen herumziehen. Klar, Wandergesellen. Aber was heißt das eigentlich genau?

Der Lupburger Josef S. Mirbeth hat als Direktor der Vereinigten Innungskrankenkasse im Raum Niederbayern-Oberpfalz und damit als "Partner des Handwerks" oft Kontakt mit Wandergesellen, da sie regelmäßig bei ihm "Schmalmachen", wie man das zünftige Vorsprechen der Wandergesellen um Arbeit oder Wegzehrung nennt. Er sagt uns, was dahinter steckt:

Die rechtschaffenen fremden Gesellen sind eine Vereinigung von gleichgesinnten Bauhandwerkern, die in die Welt hinausziehen, um sich mit den Bräuchen, Lebensgewohnheiten und Arbeitspraktiken anderer Regionen und Menschen vertraut zu machen. Die rechtschaffenen fremden Gesellen sind die mit Abstand älteste noch existierende deutsche Zunft. Sie pflegen die ältesten überlieferten Riten und zwar getrennt für das Maurer- und Steinhauerhandwerk sowie für die Zimmer- und Schieferdeckergesellen, so wie sie vor Jahrhunderten entstanden und im Laufe der Jahre gewachsen sind.

Bereits im Mittelalter zogen Handwerksgesellen jahrelang von Ort zu Ort, um zu arbeiten und neue Techniken zu erlernen. Damals war die Wanderjahre sogar Bedingung, um den Meister zu machen.

Heute ist die Walz freiwillig. Losgehen darf aber nur, wer die Gesellenprüfung bestanden hat, jünger als 30 Jahre, unverheiratet und unverschuldet ist. Die Handwerksgesellen, die auf die Walz gehen, dürfen drei Jahre und einen Tag nicht näher als 50 Kilometer an ihren Heimatort herankommen. Ausnahmen sind nur schwerwiegende Vorkommnisse wie schwere Krankheit oder Tod von Angehörigen.

Ursprünglich sollten die Handwerker in dieser Zeit neue Methoden bei fremden Meistern erlernen und so ihren Horizont erweitern. Die Kleidung: Typisch vor allem für Zimmerleute ist der breitkrempige Hut. Der wird getragen, um zu verhindern, dass beim Arbeiten über Kopf Sägespäne in den Kragen fallen. Die Schlaghosen dienen einem ähnlichen Zweck, sie sollen die Schuhe von Sägemahl freihalten. Richtig zünftig ist die Hose nur, wenn sie einen Schlag von 65 Zentimeter vorweisen kann. Die Kleidung ist aus Cord, weil von diesem Material Sägemehl besonders leicht zu entfernen ist. Das kragenlose Hemd nennt sich "Staude". Die darüber getragene Weste hat acht Knöpfe. Sie symbolisieren "Acht Sunden Arbeit täglich". Die Jacke des Gesellen hat sechs Knöpfe als Symbol für "Sechs Tage Arbeit pro Woche".

Der farbige "Schlips" heißt im Gesellenjargon "Ehrbarkeit". Die Farbe ist die jeweilige Zunftfarbe. Die "Ehrbarkeit wird nur lose in den Kragen gesteckt, damit, falls beim Arbeiten mit einer Kreissäge mal das Teil in die Maschine gerät, der Zimmermann nicht Bekanntschaft mit der Säge macht.

Der "Charlottenburger" oder "Berliner" ist keine Frikadelle im Brötchen oder ein Krapfen, sondern ein etwa 80 Mal 80 Zenimeter großes Tuch, in das die Besitztümer des Gesellen verpackt sind. Es gibt auch noch ein Taschentuch das so heißt. Das Tuch ist gewöhnlich mit Werbung oder den Zunftzeichen des Gesellen bedruckt. Aus diesem Tuch und seinem Inhalt formt der Geselle eine etwa 30 Zentimeter dicke und 70 Zntimeter lange "Wurst". Seine Habseligkeiten trägt der Wandergeselle immer bei sich, eingewickelt in diesen Pack. Dazu gehören Klamotten und das persönliche Werkzeug des Gesellen.

Das Werkzeug, zum Beispiel Hammer und Säge, ist Privateigentum des Gesellen und durfte früher von keinem anderen benutzt werden. Wagte es gar ein Zunftfremder, sich an Werkzeug zu vergreifen, so war das Werkzeug "unzünftig" geworden und musste in einer bestimmten Zeremonie wieder "zünftig "gemacht werden.

Das Ganze hat aber auch einen praktischen Hintergrund: Arbeitet ein Handwerker mit ungewohntem Werkzeug, so unterlaufen ihm leichter Fehler. Mit einem fremden Hammer gehen zum Beispiel mehr Schläge daneben als mit dem eigenen.

Der spiralige Wanderstab des Gesellen wird von ihm selbst hergestellt und heißt im Zunftjargon "Stenz". Es handelt sich dabei um einen Stock, um den spiralförmig Schlingpflanzen - zum Beispiel Hopfen - eingewachsen waren.

Der Geselle trägt normalerweise einen Ohrring. Früher war der aus Gold, um von dem Erlös im Falle eines Falles ein ordentliches Begräbnis bezahlen zu können. Der Ohrring trägt neben dem Handwerkswappen noch einen sechszackigen Stern, da angeblich der erste Maurer ein Verehrer des jüdischen Königs Salomo gewesen sei.

Verhielt sich ein Geselle unzünftig (beging er zum Beispiel einen Diebstahl) so wurde ihm der Ohrring aus dem Ohrläppchen gerissen.
Zukünftig erkannte man ihn gleich als "Schlitzohr".
03.03.07
Neumarkt: Drei Jahre und ein Tag
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