Man schrieb das Jahr 1858. Da erschien im schmucken Pyrenäenort Lourdes in der Zeit vom 11.Februar bis zum 16.Juli dem 14-jährigen Mädchen Bernadette 18 mal die Muttergottes. Diese Begegnung ereignete sich in der Grotte von Massabielle. Auf die Frage von Bernadette an Maria: „Wer bist du?“, soll diese geantwortet haben: „Ich bin die Immaculata, die Unbefleckte“. Die Kirche sieht diese Vision Mariens wie eine Bestätigung des Dogmas von der „Maria Immaculata“, das nur vier Jahre zuvor im Jahr 1854 von Papst Pius IX. als Glaubenssatz für die ganze Kirche verkündet wurde.
Leider sind heute Dogmen meist mit Vorurteilen belastet. Man sieht in ihnen nur starre Festlegungen und Einengungen des Glaubens, die gleichsam den Gläubigen aufgezwungen wurden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall im Glaubenssatz von Maria ohne Erbsünde empfangen und auch bei anderen Dogmen. Dogmen sind ein Geschenk des heiligen Geistes, fallen aber dennoch nicht vom Himmel. Sie sind vielmehr Aussagen des Glaubens über die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Oft haben sie sich erst im Lauf der Jahrhunderte entwickelt wie eben das vom 8. Dezember 1858 oder das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel. Dieses wurde erst am 1.November 1950 verkündet.
Jahrhunderte zuvor schon hat sich die Kirche mit der Frage auseinandergesetzt: Wie ist denn der Satz aus dem Glaubensbekenntnis, den übrigens sämtliche christlichen Konfessionen bekennen, zu verstehen: „Jesus, geboren von der Jungfrau Maria!“ Das Dogma vom 8. Dezember möchte nun in diese Glaubensaussage über Jesus auch Maria mit einbeziehen, indem es sagt: Wenn Maria den sündelosen Jesus durch das Wirken des Geistes Gottes empfangen hat, wenn also der allheilige Christus und Gottessohn aus ihr geboren wurde, dann muss sie selber auch ohne Sünde gewesen sein. Die Kirche begründet das aus der hl. Schrift mit der Antwort, die Maria dem Engel Gabriel gibt:“Siehe, ich bin die Magd des Herrn!“ Wenn Sünde Widerspruch zu Gott ist, dann begibt sich Maria mit diesem Jawort ganz in den Willen Gottes. Auch der Gruß des Engels: „Sei gegrüßt, freu dich Maria, du bist voll der Gnade, der Herr ist mit dir“, verweist auf die Tatsache, dass Maria schon vom ersten Augenblick ihres Daseins an von jeglicher Sünde und von der Erbsünde bewahrt blieb.
Mehr noch: das Dogma von der Jungfrau Maria wird mit dem Glaubenssatz vom 8. Dezember 1854 auf alle Christen, also auf alle Getauften ausgeweitet. Aber wieso? Wenn die Taufe die Befreiung von der Verstrickung in die Erbsünde, die allen Menschen gemeinsam ist, bewirkt, dann ist diese Erbsündenbefreiung bereits im Voraus kraft der Verdienste Christi an Maria vollzogen worden. Die Immakulata Maria ist dann nichts anderes als das große Zeichen Gottes für jeden Christen und für alle Menschen, dass „die Sünde der Welt“, mag sie noch so groß sein, nicht das letzte Wort hat. Die Kette des Elends, das durch die Sünde der Menschen entstanden ist, hat Christus durchbrochen.
Den Anfang jedoch hat er mit seiner Mutter Maria gemacht. Deshalb nennt sie die Kirche die „Vorerlöste“, die „Vollerlöste“ und „die Frau voll der Gnade“. Dogmen sind also keine altmodische Erstarrung oder Verengung des Glaubens. Nein, sie machen den Glauben erst weit, spannend und aktuell, also gleichsam modern. Sie sind ein Angebot und ein Geschenk für jeden Menschen, der noch Sehnsucht hat nach Gott, denn sie strahlen Kraft, Freude und Zuversicht aus.