"Verheerende Bilanz"
Vor zwei Jahrzehnten wurde der Bau des umstrittenen Jahrtausendprojekts abgeschlossen
Foto: obx-news
NEUMARKT. Politiker zogen zum 20. Geburtstag ein positives Fazit - die Naturschützer sehen beim Rhein-Main-Donau-Kanal eine "verheerende Bilanz".
Von Anfang an hat sich der Bund Naturschutz gegen den Bau des rund 100 Kilometer
langen Kanalabschnitt zwischen Nürnberg und Kelheim gewandt, weil
die Querung einer europäische Wasserscheide zwangsläufig mit gewaltigen
Natureingriffen verBunden und der Kanal durch ein Gebiet fern der Ballungsräume
führt und daher wertvollste Biotopflächen sowie Kulturlandschaften geopfert
wurden, hieß es bei einem Pressetermin am Montag in Dietfurt.
Auch 20 Jahre nach Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals
zwischen Nürnberg und Kelheim gebe es nicht nur keinen Anlass zum Jubel,
ganz im Gegenteil: "Der Rhein-Main-Donau-Kanal steht beispielhaft für ein unsinniges
und naturzerstörendes Prestigeprojekt der damaligen Bundesregierung
und der bayerischen Staatsregierung. Der politische Traum wurde zum
ökologisch-ökonomischen Alptraum", so Bund Naturschutz Vorsitzender Hubert
Weiger.
Der Bund Naturschutz fordert, aus dem "RMD-Desaster" die Konsequenzen
zu ziehen und auf weitere Prestigeprojekte wie die Kanalisierung der
frei fließenden Donau zwischen Straubing und Vilshofen endlich zu verzichten.
Der rund 100 Kilometer lange Rhein-Main-Donau-Kanal südlich von Nürnberg führt über die
europäische Wasserscheide Rhein/Donau und durchquert den Fränkischen Jura. Der
Höhenanstieg von Nürnberg nach Hilpoltstein (Scheitelhaltung auf 405 Meter NN) beträgt
94 Meter. Dies hatte alleine auf diesem Abschnitt vier gewaltige Schleusenbauwerke
und damit Auffüllungen und Einschnitte in den jeweiligen Stauhaltungen von bis zu
20 Metern zur Folge. Für die 171 Kilometer lange Gesamtstrecke des Kanals zwischen
Bamberg und Kelheim mussten insgesamt 16 Schleusen gebaut werden.
Nur wegen des Einsatzes des BN und örtlicher Proteste im Sulztal und im Altmühltal
wurde erstmals 1972 ein landschaftspflegerischer Begleitplan aufgelegt, in dem
versucht wurde, Eingriffe zu reduzieren und Ausgleichsmaßnahmen zu veranschlagen.
Gleichzeitig wurde der RMD AG in den Planfeststellungsverfahren die Durchführung
dieser Maßnahmen zur Auflage gemacht.
Entgegen den verbindlichen Vorgaben des Planfeststellungsbeschlusses gebe es bis
heute keine offizielle ökologische Gesamtbilanz, in der die negativen Auswirkungen
des Rhein-Main-Donau-Kanals auf Naturhaushalt und Landschaftsbild der betroffenen
Region dokumentiert werden. Es liegen erst zwei abgeschlossene Einzelbilanzen
vor, nämlich zur Stauhaltung Kelheim (1996) und zur Stauhaltung Riedenburg (1997).
in den anderen Bereichen werde immer noch "nachgebessert" oder es mussten Ersatzzahlungen
geleistet werden, weil die Eingriffe dort bis heute (!) noch nicht entsprechend
der Vorgaben der damaligen Planung "ausgeglichen" seien – "und es im ökologischen
Sinne auch nie sein werden".
Dabei sind dem Kanalbau schutzwürdigste Täler wie Sulztal, Ottmaringertal und Altmühltal
- Höhepunkte mitteleuropäischer Kulturlandschaft - zum Opfer gefallen. Nach
Erhebungen des BN wurden vor allem in diesen Tälern circa 600 Hektar schutzwürdige
Feuchtgebiete und weitere ökologisch besonders wertvolle Flächen irreparabel vernichtet.
Die Sulz zwischen Berching und Beilngries und die Altmühl unterhalb von Dietfurt
"haben aufgehört als Flüsse zu existieren". Sie wurden in einen Kanal umgewandelt,
der quasi nur aus einer Staukette mit wechselnder Durchflussrichtung besteht und in
welchem nachts Donauwasser nach Norden gepumpt und dem Regnitz/Main-System
zugeführt wird.
Als Folgen wurde am Montag von den Naturschützern genannt:
- Verlust der natürlichen Dynamik im Gewässer und in der Auenlandschaft
- Nivellierung des Talgefälles auf Null.
- Verlust der Wasserstandsschwankungen und der Grundwassererneuerung in der Talaue
- Verschlechterung der Wasserqualität. Auch ehemals nährstoffarme Gewässer mit Grundwassereinfluss sind heute völlig eutrophiert (zum Beispiel Altwasser bei Essing)
- Absenkung des Grundwasserstandes in der Talaue um bis zu 3,5 meter unterhalb der Schleuse, Auffüllungen bis zu 3 bis 4 Meter oberhalb der Schleuse.
- Umwandlung von Feuchtwiesen in intensive Produktionslandschaften, somit deutliche Erhöhung des Ackerflächenanteiles im Talraum.
- In der Folge Verlust zahlreicher ehemals für die Flüsse und deren Feuchtgebiete typischer Arten und Lebensräume sowie Veränderungen in der Artzusammensetzung von Lebensräumen zuungunsten hochspezialisierter gefährdeter Tier- und Pflanzenarten. Verringerung der Artenvielfalt im Kanal und in der Talaue um durchschnittlich 50 Prozent – in Teilbereichen deutlich größer.
- Landschaftsbild, Infrastruktureinrichtungen sowie die ehemals bekannten und typischen Ortsbilder haben sich durch den Kanalbau erheblich negativ verändert. In den Ortschaften sind neue Gebäudeschäden eingetreten und haben sich alte Gebäudeschäden (zum Beispiel in Dietfurt) verschärft. Beispielsweise neigt sich In Essing am Oberen Markt Nr. 16 seit der Grundwasserabsenkung der Giebel zur Straße.
Verschärft wurden diese negativen Folgen nach Angaben der Naturschützer durch Folgebaumaßnahmen im Tal wie
Straßenbau, Flurbereinigung, Aushubdeponien, Infrastruktureinrichtungen, Gewerbegebietsausweisungen
an Länden und Maßnahmen für Freizeit und Erholung (zum Beispiel
neues Gewerbe- und Industriegebiet am Kanal in Haidhof).
Generell habe die Hemmschwelle für Kommunen, neue Gewerbegebiete oder Baugebiete
im Talbereich auszuweisen, deutlich abgenommen.
Beispiele für Verlust von Arten durch den Kanalbau:
- Amphibien: Erdkröte und Wasserspitzmaus sind in weiten Bereichen völlig verschwunden, von ehemals sieben Erdkrötenpopulationen zwischen Kelheim und Riedenburg sind nur noch zwei übrig geblieben. Die Erdkröte war vor dem Bau des Kanals die "Charakterart", die nun ihre Dominanz verloren hat. Die Bestände von Teich- und Bergmolch haben zahlenmäßig stark abgenommen, der Kammolch ist aus einigen Bereichen völlig verschwunden.
- Bei den Vogelarten haben z.B. abgenommen: Rohrammer, Sumpfrohrsänger, Feldschwirl, Braunkehlchen, Kiebitz, Eisvogel, Zwergtaucher, Gelbspötter, Kleinspecht. Im Bereich Riedenburg sind beispielsweise folgende Arten mit enger Bindung an den Talraum sind wegen Lebensraumverlusten völlig verschwunden: Bekassine, Pirol, Schafstelze, während häufige Arten wie die Reiherente zugenommen haben.
- Libellen: "Auf lange Sicht werden sich "Auendynamikzeiger als typische flussdynamikabhängige Arten im Bereich der Sekundärlebensräume ohne ständige Pflegeeingriffe nicht halten können", heißt es in der Bilanz Stauhaltung Riedenburg 1997.
- Heuschrecken: Im Bereich der Stauhaltung Riedenburg haben die feuchtigkeitsliebenden Offenlandarten stark abgenommen.
Die Verluste an Feuchtwiesen sollten nach dem landschaftspflegerischen Begleitplan
möglichst durch Neuflächen ausgeglichen werden, was aber nicht eingetreten sei. In
den vorgelegten Teilbilanzen für die Stauhaltung Riedenburg zeige sich, dass
derartig massive Eingriffe nicht zu beheben sind.
Der Eingriff sei nicht "ausgeglichen" und könne es auch nie werden.
Unersetzbare Lebensräume und ganze Feuchtlandschaften,
vor allem Niedermoorgebiete, wie das Ottmaringer Tal oder die Irrlewiesen seien dabei
massiv geschädigt oder zerstört werden. "Bis heute sind diese Schäden nicht ausgeglichen
und viele Maßnahmen sind nichts anderes als Schönheitschirurgie", hieß es am Montag.
Die tatsächlich auf diesem mit fast 2,5 Milliarden Euro teuersten Abschnitt des
Rhein-Main-Donau-Kanals transportierten Gütermengen lägen weit unter den offiziellen
Prognosen der Rhein-Main-Donau-AG von 1992. Danach sollten bis 2002 18 Millionen
Tonnen auf dem RMD-Kanal transportiert werden. Das Ifo-Institut aus München
"verstieg" sich 1971 sogar zu einer Hochrechnung von jährlich mehr als 20 Millionen
Tonnen.
Auf dem besonders umstrittenen Abschnitt zwischen Nürnberg und Kelheim wurden
im Jahr 2002 lediglich 6,2 Millionen Tonnen transportiert. Weitere zehn Jahre später ist die Frachtmenge
sogar noch weiter gesunken: Im Jahr 2009 wurden nur noch 4,8 Millionen
Tonnen befördert, 2010 5,2 Millionen Tonnen und 2011 sank das Frachtaufkommen
um über eine Millionen Tonnen auf 4,1 Millionen Tonnen.
Die Prophezeiung des bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibls anlässlich der
Kanaleinweihung am 25.9.1992, dass "der Ausbau dieser Binnenschifffahrtswege
(...) eine zukunftsweisende Antwort auf den internationalen Güteraustausch" sei,
finde sich in der Realität nicht wieder. Das Güteraufkommen sei derart gering, dass es sogar
möglich ist, Rekorde in der Ausflugsschifffahrt aufzustellen.
10.09.12
Neumarkt: "Verheerende Bilanz"